
Beim Stichwort Innovation denken die meisten Menschen vermutlich an die Erfindung des PC oder an ihr neues Smartphone, weniger an Nahrungsmittel und Wasser. Dabei ist es undenkbar, die demnächst acht Milliarden Menschen auf der Erde ausreichend zu ernähren und mit sauberem Wasser zu versorgen, ohne innovative Technologien im Bereich Food zu entwickeln und anzuwenden. Am bekanntesten dürfte der 3D-Druck von Lebensmitteln sein. Weniger spektakulär aber vielleicht noch drängender ist die fälschungssichere Rückverfolgung von Nahrungsmittel-Lieferketten und neue Wasseraufbereitungstechnologien mithilfe von Mikroalgen und Nanomaterialien.

Lebensmitteldruck: Nouvelle Cuisine 4.0?
Ob ein Objekt aus Kunststoff oder aus Schokolade bestehen soll, spielt für den 3D-Drucker letztendlich keine Rolle. Entscheidend ist das Ausgangsmaterial, das im FDM-Verfahren (Fused Deposition Modeling, Schmelzschichtverfahren) schmelz fähig oder jedenfalls leicht formbar sein muss. Gut geeignet sind Schokolade, Fondant, Pasta Teig, Frucht- und Gemüsepürees. Die Zutaten werden über Lebensmittelpatronen und -tinte beigefügt.
Entwickelt wurde die Technik zwar von der NASA, um ihren Astronauten etwas Abwechslung im Speiseplan bieten zu können, doch unter irdischen Bedingungen dient der Lebensmittel 3D-Druck gegenwärtig vor allem der Süsswaren-Deko und dem Wow-Effekt, wenn beispielsweise Hochzeitstorten mit der dreidimensionalen Schokoladenskulptur des Brautpaares getoppt werden.
Die Grundidee ist es, herkömmliche Lebensmittel, nach Bedarf in ungewöhnlichen Formen und kleinen Stückzahlen, zu drucken und mit Zusätzen zur Formstabilität zu versehen (top-down-Ansatz). Den umgekehrten Weg geht der bottom-up-Ansatz. Bottom-up im Lebensmitteldruck bedeutet, aus alternativen Nahrungsquellen wie Algen und Insekten Lebensmittel zu erzeugen. Die sollen natürlich auch Konsumenten munden, denen beim Gedanken an essbare Mehlwürmer oder Heuschrecken eher der Appetit vergeht. Deshalb gehen die Produzenten vor wie Eltern, die ihren Kindern ungeliebtes Gemüse in der begehrten Tomatensosse unterjubeln: Pulverisierte, also unkenntlich gemachte Insekten dienen als hochwertige Proteinquelle in Fitnessriegeln, Pralinen, Brot. Durch den Mixer und Drucker gejagt, weiterverarbeitet, fertig ist das neue Lifestyleprodukt mit Mehrwert. Im Gegensatz zu den Kindern wissen die Käufer, was sie essen und akzeptieren es zunehmend.
Zukünftige Anwendungen des 3D-Lebensmitteldrucks sind denkbar. Dazu gehört die Idee, individualisierte, Lebensmittel herzustellen für Personen mit Schluck- oder Kaubeschwerden oder mit speziellem Nährstoffbedarf, darunter Diabetiker und Allergiker.
Der Lebensmitteldruck hat jedenfalls Fortschritte gemacht, seit 2013 der erste Pizzadrucker BeeHex in die Schlagzeilen kam und wieder verschwand. Marzipan, Pfannkuchen, Schokolade, Wurst, Sushi, Pasta – vieles ist heute möglich, wobei wohl eher Nerds als Gourmets die neue Technik goutieren. Schwerpunkt ist noch immer der Druck von Süsswaren mit individuellen Formen in kleiner Stückzahl und der Druck von ln-vitro-Fleisch, über den bereits die Insights Nr. 1 / 2020 im Rahmen der Technologievorschau informiert haben.
Drucken statt Kochen
Mehrere Unternehmen, überwiegend Start-ups, loten derzeit das Potenzial von 3D-gedruckten Lebensmitteln aus:
www.lapatisserienumerique.com
Die digitale Patisserie La Patisserie Numerique, gegründet 2019, will die Verwendung von 3D-Druck für Backwaren und in der Lebensmittelindustrie im Allgemeinen voranbringen. Dafür hat das Start-up eine spezielle Slicer-Software für den Lebensmitteldruck entwickelt. Um zu demonstrieren, welch filigranen, essbaren Gebilde druckbar sind, verzierten die Programmierer-Patissiers eine Torte mit der süssen Nachbildung der südlichen Fensterrosette von Notre-Dame de Paris.
www.barry-callebaut.com
Die Barry Callebaut Group, gegründet 1996, einer der grössten Schokoladenproduzenten der Welt, eröffnete Anfang 2020 ein 3D-Druckstudio für Schokolade, nach eigenen Angaben das erste und einzige derartige Studio weltweit. Hier entstand beispielsweise Flor de Cacao, das Modell einer Kakaobohne, die sich durch Kontakt mit heisser Schokoladensosse wie eine Kakaoblume öffnet. Konditoren können hier ihre eigenen Entwürfe herstellen und sie vervielfältigen, seien sie auch noch so filigran und kompliziert.
www.savor-eat.com
Das Start-up SavorEat und die Burger-Kette Burgus Burger Bar, beides Unternehmen aus Israel, entwickeln gemeinsam einen 3D-Drucker für veganen Fleischersatz.
Lebensmittel: Vertrauen ist gut, Blockchain ist besser
Glykol im Wein, BSE, Gammelfleisch, Melamin im Babypulver oder Pferde- statt Rindfleisch in der Lasagne – zwischen eklig bis tödlich variiert jeder einzelne der Lebensmittelskandale der letzten Jahre. Bevor es zum Skandal kommt, rufen zahlreiche Hersteller ihre Produkte oft vorsorglich zurück, selbst wenn sich der Verdacht auf Metallsplitter im Kochbeutelreis oder Salmonellen in der Zwiebelmettwurst nicht bestätigt. Lebensmittelverschwendung und Verpackungsmüll inklusive. Insofern ist Vertrauen in die Lebensmittel, die Lieferanten und Anbieter für alle Glieder einer Lieferkette überlebenswichtig.

Diesmal geht es speziell darum, welche Chancen die Blockchain der Ernährungsindustrie bietet, um die Lebensmittelkette fälschungssicher dokumentieren zu können – Produzenten, Produktionsstandards, Herkunft, Lieferanten, Transportbedingungen etc. fälschungssicher impliziert: Um Geschäfte mittels Blockchain abzuwickeln, benötigt es gar kein Vertrauen zwischen den Beteiligten. (Die verschwundenen Bitcoins basierten nicht auf der Manipulation der Blockchain.)
Ende von Vertuschung und Betrug
Generell gibt es in der gesamten Food Supply Chain unzählige Möglichkeiten, zu betrügen, zu manipulieren und zu vertuschen, also alles, was unter die Stichworte Food Fraud und Food Defence fällt. Entsprechend viele Ansatzpunkte für Blockchain – Anwendungen sind denkbar. Das fängt bei GVO-verunreinigtem (gentechnisch veränderte Organismen) Saatgut und gefälschten Herkunftsangaben an und hört beim absichtlichen Panschen oder der Vertuschung unterbrochener Kühlketten noch lange nicht auf. Ferner lässt sich mittels Blockchain ein manipulationssicheres Landkataster erstellen, das Bauern – in Ländern mit unzuverlässigen Landeigentumsverhältnissen – ihre Eigentumsrechte sichert. Damit lässt sich auch in den nachgelagerten Lieferketten die Herkunft von Lebensmitteln einwandfrei nachweisen. Und schliesslich kann das unbestechliche Kontrollsystem dafür sorgen, dass Green Bonds wirklich nur zweckgebunden in umweltfreundliche Firmen und Projekte investieren.
Anbieter und Nutzer
www.ibm.com
Die bekannteste Blockchain im Bereich Food Supply Chain dürfte IBM Food Trust sein, ein kooperatives Netzwerk von Landwirten, Herstellern, Verarbeitungsunternehmen, Grosshändlern, Einzelhändlern, Konsumenten und anderen Beteiligten, das die Transparenz und Verantwortlichkeit in der gesamten Lebensmittellieferkette verbessert. Das Netzwerk verbindet die Teilnehmer über eine autorisierte, unveränderliche und gemeinsame Dokumentation der Herkunft von Lebensmitteln, Transaktionsdaten, Verarbeitungsdetails und mehr. So lassen sich Ineffizienzen, Umweltverstösse und Manipulationen in den weltweiten Lieferprozessen vermeiden. Nestlé, Walmart und Carrefour unterstützen das Projekt.
www.agriledger.io
Während die Blockchain-Lösungen der grossen Player grundsätzlich für viele Industriezweige, nicht nur den Lebensmittelsektor anwendbar sind, spezialisieren sich Start-ups in der Regel von vornherein auf bestimmte Branchen, teilweise verbinden sie damit auch ethische Ansprüche. Beispielsweise Genevieve Leveille, Gründerin von AgriLedger. Sie hat sich nicht weniger als die Demokratisierung von Marktchancen auf dem weiten Feld der weltumspannenden Landwirtschaft auf die Fahnen geschrieben. Ihre Blockchain-Anwendung soll vor allem Landwirten in Entwicklungsländern Zugang zu globalen Märkten, Finanzmitteln und zu Informationsquellen erleichtern, einschliesslich relevanter Wetterinformationen, Herkunft des Saatguts, verwendeter Düngemittel und Standort der Ernte.

www.oracle.com
Wie IBM betreibt auch Oracle eine eigene Blockchain-as-a-Service-Plattform. Zusammen mit der gemein gemeinnützigen NGO World Bee Projekt arbeitet Oracle an einem System zur Überwachung der Versorgungsketten in der Honigproduktion. Gleichzeitig versorgt das Projekt Imker, Landwirte, Forscher und Regierungen mit aktuellen Erkenntnissen der Bienenforschung.
www.siemens-mindsphere.io
Siemens hat MindSphere entwickelt, ein blockchain-basiertes Betriebssystem, das in der Lebensmittelindustrie dazu beiträgt, unnötige Produktrückrufe zu vermeiden, gefälschte Produkte zu erkennen und gestiegene Erwartungen der Verbraucher an die Transparenz von Herkunft und Produktionsverfahren zu erfüllen.
www.ifinca.co
Die iFinca App möchte die Ethik auf die Kaffeeplantagen bringen und verspricht mithilfe der Blockchain Transparenz „from farm to cup“. Die App verbindet die Konsumenten der Tasse Kaffee mit den Bauern auf den Plantagen. Wer einen QR-Code auf der Kaffeeverpackung scannt, erfährt, wie viel der Bauer an der Herstellung verdient hat und weitere Infos über die Fairness oder Unfairness der Lieferkette.
Big Data machts möglich
3D-Lebensmitteldruck, Blockchain zur Prüfung von Lieferketten – das sind einige der innovativen Forschungscluster, die aktuell im Bereich Nahrungsmittel agieren. Die Liste der gesamten 20 Cluster hat das Schweizer Investment Analytics Unternehmen ALPORA erstellt: Mittels Big-Data-Analyse des Systems NETCULATOR hat ALPORA alle mit dem Thema Foodbefassten wissenschaftlichen Publikationen ausgewertet. Glücklicherweise zeigt die Liste, dass das grundlegendste aller weltweiten Probleme beim Thema Innovation ganz oben steht.
